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erschienen 2011 05 online auf der website www.springerarchitektur.at (nicht mehr online) im Rahmen der Serie Revisited - einer Serie von Reportagen zu Gebäuden, die nach einiger Zeit der Nutzung wieder besucht wurden. Die Serie war sehr kurz - es erschienen zwei Artikel, ein Dritter blieb in der Phase der Vorbereitung.

Artikel aus dem architektur.aktuell aus dem Jahr 1994 von Paul Scheerbart

Fotos (c) Dominik Köhle & David Pašek

 

Die Glasschule am Kinkeplatz

„Ich wollte eine Schule machen, bei der nicht gleich das Unangenehme, das bei Schulen immer so auffällt, sich bemerkbar macht.“ Helmut Richter

Text: David Pašek
Fotos: Dominik Köhle, David Pašek

In einer architektur- und stadtkulturellen Aufbruchstimmung um den damaligen Stadtrat Karl Swoboda, eröffnete das Schulbauprogramm 2000 eine bauliche Manifestation verschiedener, qualitativ nahezu gleichwertiger Haltungen. Im Rahmen dieses Programms war es jedoch nicht angedacht am Prinzip der Stammklassen zu rütteln, woraus dann doch eine recht konventionelle Grundstruktur aller dieser Wiener Pilotprojekte resultiert.

Die Doppelhauptschule von Helmut Richter, die 1994 übergeben wurde, ist in diesem Spektrum ein bautechnisch als auch räumlich ein Extrem, und daher auch das umstrittenste polarisierendste Projekt. Die Kritiker und die Architektenschaft übte sich entweder in vernichtenden Kommentaren, oder im überschwänglichem Lob, und so kursieren auch heute noch viele Horrorgeschichten und Halbwahrheiten.

Rund 16 Jahren nach der Eröffnung haben wir die Schule besucht, um nachzufragen wie es den SchülerInnen und den LehrerInnen mit dem Gebäude geht, aber auch um nachzusehen, ob sich die räumlichen und funktionellen Visionen bewährt haben, oder mit welchen Aspekten es Probleme und Schwierigkeiten gibt.

Der Wiener Bezirk Penzig ist besonders vielfältig, und das Spektrum reicht von innerstädtischen Bereichen bis zu ausgesprochenen Randlagen. Das Schulgebäude ist an einem Südhang, zwischen den stadträumlichen Polen situiert, grenzt östlich an den Friedhof Baumgarten, dessen „Serviceeinrichtungen“ die Parzelle auch nach Süden umgeben. Westlich schließt ein Sportplatz an, der zwar nicht zur Schule gehört, aber von dieser mitbenutzt werden kann.  
die Spange
Wesentlich für den Entwurf von Helmut Richter ist die Ost-West orientierte Spange, die sich gleich im Eingangsbereich in Richtung Süden zu einer Aula erweitert, gefolgt von einem Hof und einem Dreifachturnsaal. In dieser Spange befinden sich auch die vertikalen Erschließungen. All diese Bereich sind konsequent unter einer großzügigen, schrägen Glashaut zusammengefasst, die sich über eine filigrane und präzise konstruierte Stahlkonstruktion spannt. Außerhalb der schrägen südlichen Abschlussfläche folgt die Hülle den funktionellen Notwendigkeiten, so dass es unterschiedliche Glasebenen gibt, die sich gegenseitig reflektieren. Die innere Trennwand zum Turnsaal ist ebenfalls aus Glas, neigt sich allerdings gegen die Schräge der Außenhaut, so dass ein vertikal aufgehender Raum entsteht, der den Turnsaal in diese Spange räumlich integriert.   

Dieses räumliche Element gibt es in Österreich wahrscheinlich in keiner zweiten Schule und als Besucher merkt man sofort, wie positiv dies auf die Schulgemeinschaft wirkt, die sich wie selbstverständlich daran gewöhnt hat sich darin zu bewegen, die Offenheit zu nutzen und sich in den Pausen ihre Dosis an Tageslicht zu holen.

Von der Hauptachse nach Norden sind drei längliche Baukörper situiert: der Linke und Rechte sind je einer Schule zugeordnet, der mittlere nimmt die gemeinsamen Einrichtungen und die Sonderbereiche auf. Die farbigen Zwischenwände der Gänge reichen bis zur Zargenoberkante, darüber ist ein Glasband. Die Sanitäreinheiten sind eingestellte metallische Boxen. Jeder Gang ist an verschiedenen Stellen auch unterschiedlich breit. Dies resultiert in einer elegante Großzügigkeit mit hoher Aufenthaltsqualität. Die Fassade dieser Bauteile ist, neben dem obligatorischem hohen Glasanteil, aus Metall, und es ergibt sich eine Reihe von poetischen Situationen, wie jene im Bereich wo die Sanitärboxen an der Fassade ablesbar werden.

Im Gegensatz zu sehr vielen anderen Schulen, gibt es am Kinkplatz ausreichend Platz, genügend Räume und das auch für den Ganztagsbetrieb. Der aktiven Lehrergeneration kommen die Räume im wesentlichen sehr entgegen, und die SchülerInnen sind sich zumeist bewusst, ein besonderes Schulgebäude zu besuchen, und begegnen diesem mit Achtung und Wertschätzung.
Sie erkennen an der Kleidung in welchem Geschoß ein Lehrer unterrichtet.
Wie allgemein bekannt sein dürfte, ist ein Problem des Gebäudes, die sommerliche Überhitzung in den oberen Geschoßen. Vor allem in den Bereichen wo ganztags unterrichtet wird, kann es Perioden geben, in denen ein geregelter Unterricht kaum mehr stattfinden kann. Verschärft wird diese Situation noch durch den textilen Sonnenschutz, der bei Wind selbständig einfährt. Um Abhilfe zu schaffen wird dieser in absehbarer Zeit gegen robustere Raffstores ausgetauscht, zumal das System ohnehin am Ende der üblichen Funktionsdauer angekommen ist.
Es war möglicherweise vorgesehen das Gebäude zumindest in Teilbereichen zu klimatisieren, denn einige Teile der Anlage wurden installiert, und nachdem diese scheinbar nie als Ganzes in Betrieb gegangen ist, erst kürzlich wieder abmontiert.

Reflexionen / leider auch Schallwellen
In diesem Gebäude gibt es ausgesuchte Materialien, die überwiegend hart sind. Weil auch Absorptionsflächen eingespart wurden, führt dies zu einer Halligkeit, die gerade bei einer Nutzung als Unterrichtsraum sehr problematisch ist. Besonders die TurnlehrerInnen sind von dieser Situation betroffen, da deren Arbeit über den ganzen Tag durch den Schallpegel unnötig erschwert wird.  Wahrscheinlich hat man bei der Planung gehofft, dass die textilen Trennwände, die den großen Turnsaal unterteilen, eine höhere schallschluckende Wirkung haben werden. Funktionell ungünstig ist auch die Schallübertragung von einem geteilten Turnsaalbereich zum nächsten, der es den LehrerInnen auch erschwert das verschiedene Turnprogramm der Klassen voneinander zu entkoppeln.

Erhaltung / Reinigung
Von der zuständigen Magistratsabteilung 56 gibt es leider derzeit keine Auskünfte zu dem Aufwand und den Kosten der Erhaltung, mit einem Verweis auf eine derzeit beauftragte Studie, für einen zukünftigen Umgang mit dem Gebäude. In der Erhaltung scheint es auf jeden Fall etwas aufwändiger zu sein als andere: das vorgesehene Budget reicht zum Beispiel nicht aus, um sämtliche Glasflächen einmal im Jahr reinigen zu lassen, so dass mit der Schulleitung gemeinsam die jeweils dringendsten Bereiche ausgewählt werde.

Schon vor Projektbeginn wurde mit dem Bezirk heftig um das Grundstück gerungen, weil es als schwierig zu bebauen galt. Der Grundwasserspiegel und ein querender Bach verursachten nicht nur beim Bau Schwierigkeiten, sondern können auch heute noch, bei starkem Regen, ins Haus eindringen. Kürzlich wurde sogar die Gründung der Zugangsbrücke beschädigt. Das Wasser kommt aber auch von oben: die Terrassen werden von Zeit zu Zeit undicht, was mühsame Sanierungsarbeiten nach sich zieht.

Leider sind die Schiebetüren zwischen der Aula und der zugeordneten Terrasse kaputt und drohen aus dem Rahmen zu kippen, und bleiben deshalb aus Sicherheitsgründen verriegelt. Dadurch entfällt derzeit die Möglichkeit, dass die SchülerInnen auch in den Pausen ins Freie gehen.

Fazit
1994 wurde ein experimentelles Schulgebäude eröffnet, mit einer optimistischen gesellschaftlichen Haltung, das räumlich eine Höchstleistung darstellt. In der Zeit der Nutzung hat sich dieser Aspekt absolut bewährt, doch die Logik eines Architekturexperimentes beinhaltet natürlich  Anpassung  des Gebäudes, bis es tatsächlich zufriedenstellend funktioniert. In Teilbereichen ist dies bereits passiert, einige Maßnahmen wären aber noch empfehlenswert. Bautechnische Mängel sind vorhanden, mit Ausnahme der beschriebenen Grundwasserproblematik, scheinen diese aber durchaus beherrschbar.  Man darf gespannt sein zu welchem Ergebnis die in Auftrag gegebene Studie der MA 56 kommt.

Daten
Entwurf: Helmut Richter
Mitarbeit: Jakob Dunkl, Gerd Erhartt, Andreas Gerner, Heide Mehring
Konstruktion: Vasko & Partner
Bauphysik: Erich Panzhauser
Planungsbeginn: Jänner 1992
Baubeginn: April 1993
Fertigstellung: November 1994
Grundstücksfläche: 10.500m2
Bebaute Fläche:  4.500m2
Nutzfläche: 13.000m2
Nettoherstellungskosten (exkl. Honorare, Nebenkosten und Mehrwertsteuer): 233 Millionen Schilling

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